Papst Franziskus, wie kann man den Krieg in Belarus stoppen? Wie kann man das Böse stoppen?
Priester Vyacheslav Barok ist ein berühmter belarussischer römisch-katholischer Priester, Vorsteher der Kirche St. Josafat Kuntsevich in Rasony, Videoblogger. Auf seinem YouTube-Kanal hat er im Laufe des letzten Jahres die Soziallehre der katholischen Kirche und die Ereignisse in Belarus aus der Perspektive dieser Lehre überprüft. Am 12. November wurde er «als Zeuge» in einem unbekannten Strafverfahren in das Untersuchungskomitee gerufen, aber es ging dabei um den YouTube-Kanal und die Reden des Priesters. Er ist ein Freund der Gruppe «Christliche Vision» des Koordinierungsrates.
Freunde, erlaubt mir, dass ich mich heute nicht an Euch wende, sondern an Papst Franziskus.
Wisst Ihr, das Leben ist sehr kurz, man muss sich deshalb beeilen, um das zu tun, wonach das Herz verlangt.
Also, solange ich frei bin und lebe und die Ermittlungsbehörden alles überprüfen, was ich predige, nutze ich die Möglichkeit, Euch, meinen Freunden, für Eure Unterstützung zu danken, und wende mich an den Papst.
Es ist mir klar, dass ich nur einer von 1 330 Millionen Katholiken in der Welt und einer von mehr als 400.000 Priestern bin. Und ich weiß, dass Belarus – aus einer Reihe von objektiven Gründen – nicht im Fokus des Vatikans steht. All dies spricht eigentlich für eine geringe Chance, dass meine Stimme den Heiligen Stuhl erreicht und nicht unter tausenden wichtigeren Angelegenheiten verloren geht.
Dennoch ist es besser, es zu versuchen als zu bedauern, das nicht gemacht zu haben, was man machen konnte.
…
Papst Franziskus, ich bitte Sie, nicht mich zu erhören, sondern das belarussische Volk.
Hier ist geschehen, dass die Staatsmacht einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung angefangen hat.
Ja, genau, einen Krieg. Der Frieden brach zusammen, als die Wahlen gefälscht, die Wahrheit verspottet und die Gerechtigkeit mit Füßen getreten wurden, als die Justiz begann, nicht über Verbrecher zu richten und sie zu verurteilen, sondern über die Opfer. Es werden nicht diejenigen eingesperrt, die schlagen, sondern diejenigen, die geschlagen werden. Es ist bekannt, dass es ohne Wahrheit und Gerechtigkeit keinen Frieden geben kann.
Warum ist das geschehen?
Die Antwort ist einfach. Unsere Stimmen wurden gestohlen. Unser Recht auf freie Wahl wurde uns genommen – sogar Gott entzieht einem die Freiheit zu wählen nicht –uns aber wurde sie entzogen. Jetzt werden wir, die damit nicht einverstanden sind, ins Gefängnis gesteckt, wir verlieren unsere Arbeitsplätze und unsere Studienplätze, wir werden geschlagen, gefoltert, misshandelt und getötet.
Du, Papst Franziskus, kennst wie kein anderer, wie alles auf den Kopf gestellt wird, wenn eine Militärjunta die Macht im Land ergreift. Die Erfahrung Deines Heimatlandes Argentinien mit dem „schmutzigen Krieg“ zwischen 1976 und 1983 und seinen Opfern, als im Laufe von sieben Jahren etwa 100.000 Menschen betroffen waren, erlaubt Dir bestimmt unsere Situation nachzuvollziehen.
Wir sind bereits 26.000 Gefangene, mehr als 100 politische Häftlinge, tausende Verwundete und sechs Getötete. Ja, das sind weniger als in Argentinien… noch. Allerdings sind die Einsatzkräfte immer noch unterwegs auf dem Weg der Ungerechtigkeit, und dies sind erst 100 Tage friedlicher Proteste.
Am 12. November ist Roman Bogdanovich gestorben. Eigentlich war es ein Mord. Er wurde von Banditen vom Platz des Wandels entführt. So begehen belarussische Sicherheitsbeamte normalerweise ihre Verbrechen: ohne Uniform, aber mit Waffen in ihren Händen und mit Sturmhauben auf ihren Gesichtern. Roman wurde für sein Zeugnis für die Menschenwürde getötet, für die Solidarität, für die belarussische Flagge, für das Symbol Christi, für den Glauben an den Sieg des Guten über das Böse.
Der tragische Tod des 31-jährigen Künstlers erschütterte ganz Belarus – gleichgültig blieben nur diejenigen, welche die letzte Ähnlichkeit mit Menschen völlig verloren haben.
Heute versteht jeder Belarusse und jede Belarussin sehr gut, dass wenn das Volk, das für Rechtsstaatlichkeit kämpft, nicht siegt, eine humanitäre Katastrophe im Land unvermeidbar ist. Der Krieg wird das Volk, das Land und die Menschen vernichten.
Das Ziel meines Appells ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden: Was müssen wir tun, damit in Belarus Friede herrscht? Wie können wir den Krieg beenden?
Ich habe mehrmals die Enzyklika Tutti Fratelli gelesen. Ich habe anderen erklärt, was die eigentliche Lehre Deiner Botschaft für Belarus ist. Aber ich kann selbst keine Antwort auf die Frage finden, wie man mit denen Dialog führen kann, die keinen Dialog wollen. Und wie ist die “Architektur des Friedens” ohne Dialog möglich?
Unser Metropolit Tadeusz Kondrusiewicz wurde, als er anfing über den Dialog zu sprechen, einfach aus dem Land ausgewiesen.
Ich verliere den Glauben, dass diejenigen, die menschliches Blut gekostet haben, wieder zur Besinnung kommen und den Dialog beginnen können. Andererseits hat sich der, der behauptete, dass es heute “nicht um Gesetze geht”, mit Deinem Botschafter in Belarus, dem Erzbischof Ante Jozić gerne getroffen.
Die Propaganda des Regimes hat ein Bild davon aufgenommen: Sie trinken gemeinsam Champagner – der Nuntius und der, der sich öffentlich dazu bekannt hat, die Befehle zur Ermordung der Belarussen erteilt zu haben.
Selbstverständlich konnte das belarussische Volk solche Bilder nicht ohne weiteres akzeptieren.
In meinen Videos habe ich versucht, dieses Ereignis zu deuten und habe die Linie, welche der Vatikan für seine Politik gewählt hat, nicht verurteilt. Auch jetzt danke ich für die Sorge und Gedanken an uns. Aber allen ist heute bekannt, dass Lukaschenko, der Dich als den “besten Papst” bezeichnete, nur noch danach daran interessiert ist, sich hinter der Autorität des Nachfolgers des hl. Petrus, nicht mal hinter Kardinal Jorge Bergoglio, sondern hinter dem Apostel Christi zu verstecken.
Es sagte, dass selbst der Pontifex jetzt seine Zustimmung zu weiteren Verbrechen gibt.
Ich weiß aber, dass das absolut nicht stimmt.
Und noch eine Frage, mein Papst, wie kann man das Böse in unserem Land beenden?
Ich muss heute als derjenige, der gegen Lüge und Gewalt auftritt, und dementsprechend gegen Faschismus, Kommunismus und die Ideologien, die auf diesen Lehren aufbauen, den Sicherheitskräften erklären, warum ich gegen dieses Übel bin.
So lädt man in den Ermittlungsausschuss nicht den berühmten Künstler Tsesler vor, sondern einen Priester aus der belarussischen Peripherie, weil ich in den sozialen Netzwerken seine Arbeit “Stop Lukaschismus” gepostet habe, die das Böse des gegenwärtigen autoritären Regimes in Belarus und seine Verwurzelung in den nicht bereuten Verbrechen des Kommunismus offenlegt.
Von allem, was man mir vorwirft, bin ich nur darin schuldig, dass ich konsequent die offizielle Lehre der Katholischen Kirche verkündige.
Aber ich kann nicht anders. Mein Papst, in der Enzyklika “Tutti fratelli” hast Du gesagt, dass man im Gleichnis über den Samariter seine eigene Rolle finden muss… Ich habe sie gefunden. Als ich keine andere Möglichkeit hatte, habe ich mich an die Seite des verprügelten und verletzten Menschen begeben – so sehe ich heute Belarus und sein Volk, das erwacht ist.
Sag mir, Papst, in welcher Rolle siehst Du dich, wenn Du über Belarus sprichst? Um in der Begrifflichkeit des Gleichnisses zu bleiben: es ist mir klar, dass die Räuber noch länger auf der Straße bleiben, auf der sie die Menschen niederschlagen, und es gibt noch keine Möglichkeit, dass Du unser Land besuchst, aber nichtsdestotrotz, wie siehst Du dich? Welche Rolle hast Du?
Wahrscheinlich wird Deine Antwort, Papst Franziskus, Belarus helfen. Unser Volk hat doch keine Ansprüche und und keine Forderungen an niemanden; es will nur Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden. Will Gott etwa nicht dasselbe?
Danke Dir, Papst Franziskus, dass Du den Dienst Petri ausführst und uns unterweist.